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About An:Bruch

An:Bruch baut interdisziplinäre Brücken, denkt musikalische Visionen zu Ende und präsentiert Früchte langjähriger Kollaboration. Dabei entsteht ein Raum für künstlerisch unabhängiges und zeitgenössisch relevantes Arbeiten, der in Form eines einzigartigen multimedialen Katalogs verwirklicht wird.

 

Tom R. Schulz / Elbphilharmonie

An:Bruch, das neue, von Nathan Ott gegründete Künstler-Label, soll eine Plattform werden für Begegnungen zwischen den künstlerischen Disziplinen, erstmal mit ihm und seinem Input als Anker. Der Name spielt auf den Titel einer Publikation an, die zwischen 1917 und 1922 in Berlin erschien: Der Anbruch. Flugblätter aus der Zeit. Nathan Otts etwas modifizierte Schreibweise An:Bruch deutet noch stärker auf Bruchkanten, Schnittstellen, Öffnungen hin, auf künstlerische Positionen, die seine Neugier wecken, seine künstlerische Fantasie aufbrechen und ihn zu neuen Richtungen verführen. Malerei, Tanz, Literatur, Performance: Platz für all das soll und darf sein in Nathans musikalischem Kosmos, der nun dezidiert nicht mehr in sich geschlossen ist. Er hat ihm einen Riss verpasst. Und erst durch den, wir wissen es, strömt das Licht: „There is a crack in everything / That’s how the light gets in“ (Leonard Cohen).

 

Wolfgang Sandner / FAZ

Jeder Musiker muss wohl seine Antenne permanent in die Richtung der anderen drei ausgerichtet haben, um auf die leiseste Klangnuance in diesen unausöslichen Mixturen aus kompositorischen und improvisatorischen Teilen reagieren zu können. Zugleich arbeiteten alle beharrlich an ihren autarken Parts für das Werk als Ganzes. Was entstand, war ein phantastisches Geflecht kontrapunktischer Linien, die bisweilen unausweichlich auf Stimmführungsdissonanzen zusteuerten: eine mächtige Polyphonie voller Reibungen, homophoner Sätze, wunderlicher Zusammenklänge und doch stets hörbar musikalischer Logik verpflichtet. Wie bei Bach. Nur eben im Jazz-Idiom.

Erhältlich hier ab dem 21.Februar 2025 auf Vinyl, CD oder als digitaler Download auf allen Plattformen.

Christof Lauer: Tenor & Soprano Saxophone
Sebastian Gille: Tenor, Soprano Saxophone & Clarinet
Jonas Westergaard: Bass
Nathan Ott: Drums

Er ist ein Drummer, der Räume schafft, klangmalerisch fein schattierte Szenerien für seine Mitspieler kreiert und der es versteht, die Musik mit einer eleganten Subtilität zu lenken. Spätestens seit dem Erscheinen seines Debüt-Albums 2018 hat Nathan Ott eindrucksvoll demonstriert, wie fruchtbar eine generationsüberschreitende, interkontinentale Jazz-Begegnung sein kann. Zentrum der Aufmerksamkeit war dabei immer wieder die Tatsache, dass der Miles Davis-Veteran Dave Liebman gemeinsam mit drei europäischen Jazzmusikern aus zwei jüngeren Generationen ein derartig offenes Format für improvisatorischen Dialog auf Augenhöhe entwickelte.

Als Liebman sich später aus gesundheitlichen Gründen vom Tourleben zurückziehen musste, kam mit Christof Lauer eine der prägendsten Stimmen des europäischen Jazz hinzu und verwandelte den Klang und das Innenleben des Ensembles. Zusammen mit dem eindringlichen Ton des SWR-Jazzpreisträgers Sebastian Gille verschmilzt Lauers Spiel zu einer unverwechselbaren Textur und wird durch die elegante Elastizität des dänischen Bassisten Jonas Westergaard vervollständigt, einem der bemerkenswertesten Individualisten seines Instruments weltweit.

Das Album „Continuum“ dokumentiert die langjährige Zusammenarbeit des Quartetts und ist die erste Veröffentlichung auf „An.bruch“. Aufgenommen wurde die Musik im April 2024 direct-to-tape, mit dem Ziel, die Dynamik des Ensembles so unverfälscht wie möglich zu repräsentieren. Gemeinsam spielen sie eine eng kommunizierende, atmosphärisch dichte, zeitgenössische Musik, die Genregrenzen sprengt und zu allen dynamischen Steigerungen fähig ist, ohne jemals an Bodenhaftung zu verlieren.

 

Tom R. Schulz / Elbphilharmonie

Im Anfang war der Beat. Und der Beat war bei Ott. Nathan Ott. Wie bei der Schöpfung des Universums beginnt auch die kleine, in die Zeitlichkeit geworfene Welt von »Continuum«, dem neuen Album des Nathan Ott Quartetts, auf einen Schlag. Kein Urknall, kein Pomp, kein Circumstance. Es ist ein federnder, dünner, präzis ausgeführter Schlag aufs Fell einer Trommel, dem unmittelbar ein zweiter auf ein Becken folgt. Und schon ist sie da, die Polarität im Mikrokosmos des Schlagzeugs: Fell und Becken. Holz plus Tierhaut versus klingendes Metall. Gleich in der ersten Sekunde ruft Nathan Ott die bestimmenden Klangfaktoren seines Instruments ins Leben. Das Kontinuum kann beginnen.

»Continuum«: Es ist ein besonderes Wort, das Nathan Ott als Titel für diese im April 2024 im Tonstudio Bauer Ludwigsburg entstandenen Aufnahmen gewählt hat. Der Begriff bezeichnet eine unbestimmte, aber lange Zeitspanne, auch die Fortdauer von etwas. Zeit vergeht ja immer ohne unser Zutun; sie klug zu nutzen ist uns aufgegeben. Im Wort Kontinuum klingt Ewigkeit an, der Gleichmut der Zeit, deren graphische, geometrische Gestalt vermutlich alles andere ist als jener tumbe Strahl aus Gestern, Heute, Morgen, auf dem wir uns mit weit aufgerissenen Augen und wehendem Haar wie einst der Graf Münchhausen auf seiner Kanonenkugel durch jene Spanne des irdischen Lebens rasen sehen, die uns von wem auch immer gewährt ist. Ins Kontinuum ist alles hineingewebt, was je gelebt hat, lebt und leben wird. Es ist Gedächtnis und Potenzial, Hort der Erinnerung und aller Möglichkeiten. Und natürlich der Zeitort des Jetzt.
 
Schlagzeuger haben naturgemäß ein besonderes Verhältnis zur Zeit. Sie sind die Timekeeper, die Weltenuhr der Musik. Nathan Ott, dieser so freundlich und verschmitzt schauende Musiker mit dem markanten Bart und der Statur eines Samurai, versieht das heilige Amt des Trommlers mit einer Gegenwärtigkeit und Übersicht, die ihn schon früh in seiner Karriere ins Kontinuum der Großen seiner Kunst gerückt hat. Aus Nathans Spiel klang immer ein tiefes, nicht erlernbares Wissen. Auf den eingangs beschriebenen primären Beat zu Beginn von »Continuum« lässt er in einem großen Atembogen erstmal ein rhapsodisches Solo folgen. Frei im Metrum, konzentriert, gelassen und neugierig auf jeden Klang, den er entstehen lässt. Nach zweieinhalb Minuten nordet er das milde Chaos dieses Weltenanfangs auf einen gemächlichen, regelmäßig getretenen Beat auf der Hi-hat ein, den die Bandkollegen auf ein Zeichen hin mit einem dreistimmig geführten, durchgängig synkopischen Thema umspielen. Komponierte Musik, augenscheinlich. Und doch eine voller Freiräume.
 
Obgleich ein Schlagzeuger das Ensemble anführt und die ersten drei Minuten der neuen Platte ihm ganz allein gehören: Das Album, direct-to-tape aufgenommen und also frei von Overdubs, Korrekturen, editorischem Flickwerk, ist alles andere als die Ego-Show des Trommlers. Auf »Continuum« sind vier gleich starke und gleich exponierte Partner zu erleben. Sie begegnen einander auf gut vorbereitetem Terrain. Komponiertes Material bleibt der Bezugsrahmen für ihren kollektiv-individuellen, schöpferischen, immer wieder auch sehr spontanen und ungezügelten Beitrag zur Gegenwartskunst Jazz, in der stets Expressiv-Unvorhersehbares passiert und passieren soll.
 
Die Fomel für das Nathan Ott Quartett lautet seit seiner Gründung vor zehn Jahren: zwei Saxofone, Kontrabass, Schlagzeug. Kein Harmonieinstrument. Der Saxofonist Sebastian Gille, Otts Weggefährte aus gemeinsamen Hamburger Studientagen, bläst von Anfang an das eine Horn. Die unvergleichlichen Farben und die subtile Ausdruckstiefe seines Saxofon- und Klarinettenspiels gehen immer wieder neue, aufregende Legierungen mit dem etwas spröderen, raueren, kantigeren, wenn man so will: Coltraneskeren Spiel Christof Lauers ein. Fortgeschrittene Analytiker musikalischer Charaktere dürften herausfinden, wer von den beiden jeweils gerade spielt. Sowohl solistisch als auch bei zweistimmig gespielten Passagen ist das von außen nicht immer eindeutig zu bestimmen. Und keine editorische Notiz verrät, wer auf welchem Kanal zu hören ist. Man nimmt das Spiel der beiden Bläser allerdings als derart symbiotisch wahr, dass einem der Erkenntniszwang des Wer-spielt-gerade-was als Erbsenzählerei erscheint.
 
Die andere Saxofonstimme auf den beiden vorangegangenen Alben »The Cloud Divers« (2018) und »Shades of Red« (2020) gehörte Dave Liebman. Der legendäre Saxofonist hatte die ungewöhnliche musikalischen Expedition dieses Quartetts überhaupt erst auf den Weg gebracht, und das in dreifacher Hinsicht. Ein Konzert mit Dave Liebman in seiner Geburtsstadt Augsburg wurde für den 18-jährigen Nathan Ott zum Erweckungserlebnis in Sachen Jazz. Auf seiner intensiven Recherche nach prägenden Aufnahmen mit Liebman stieß er dann auf ein Album des Elvin Jones Quartets aus dem Jahr 1972, »Live At the Lighthouse«. Das entstand in genau der Instrumentierung, die wir hier hören. Im Jahr 2015 schließlich erfüllte Liebman dem jungen Schlagzeuger, der inzwischen an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg studierte, den Wunsch nach einer Projektbegegnung. Daraus erwuchsen dieses Quartett, mehrere Tourneen und zwei Alben. Seit Dave Liebman aus gesundheitlichen Gründen kaum mehr reist, hat Christof Lauer seinen Platz im Nathan Ott Quartett eingenommen.
 
Lauer ist fraglos ein idealer Nachfolger. Er stammt aus der Frankfurter Schule des Jazz, mit der sich Namen wie Albert Mangelsdorff und Heinz Sauer verbinden und die immer eine Spur näher dran war am mächtigen Sound des amerikanischen Jazz und seinem aus der Tradition geborenen unbändigen Willen zur Freiheit. Seiner internationalen Laufbahn setzt Christof Lauer hier ein Glanzlicht auf. Er spielt noch immer, als gehe es ihm in jedem Solo, ja, in jedem Ton, um alles, und das ist herrlich. Er ist der Shiva des deutschen Jazz: Autorität und Zertrümmerer der Autorität in einer Person.
 
Der Bassist Jonas Westergaard ist der Glücksfall eines strukturell denkenden Virtuosen. Er hat ein untrügliches Gespür für Balance und präsentiert sich in den mal wilden, mal weichen Wassern dieser Musik in vielen Rollen, vom Anker bis zum Kite-Surfer. Das fluide, elastische, unwahrscheinlich belastbare Gewebe dieser Band, in dem sich die autonomen melodischen Linien der beiden Bläser und vom Bass zu vielschichtigsten, flüchtigen harmonischen Gestalten verschlingen und wie Gischt vorüberziehen, hält Nathan Ott vom Schlagzeug aus ebenso souverän wie risikofreudig zusammen. Hier ist Kammermusik voller Klangsinn zu erleben, gespielt mit weit offenen Ohren für alles, was die anderen tun, und mit der rückhaltlosen Energie von Jazzmusikern, die aus dem Moment heraus (und mit einem Viertelauge auf den Noten) das Gold improvisierter Polyphonie zu spinnen vermögen. »Wie Bach, nur halt Jazz«, so hat der große Musikschreiber Wolfgang Sandner kürzlich das Wesentliche dieser Band in der »FAZ« beschrieben. »Continuum« ist eine großartige Momentaufnahme aus diesem fortlaufenden schöpferischen Prozess.